Yitzhak Doveh

Im Rahmen des 78. Jahrestages der Befreiung des KZ-Mittelbau-Dora durfte ich Yitzhak Doveh und seinen Sohn Arik sechs Tage lang betreuen und kennenlernen. In dieser Zeit hat Yitzhak einiges über sein Leben und seine Zeit in den Konzentrationslagern erzählt.

Yitzhak Doveh wurde am 10. Januar 1928 als Yitzhak Davidovic in Rumänien in eine jüdische Familie geboren. Er machte eine Ausbildung zum Schlosser. 1944 wurde Yitzhaks Familie in das Ghetto in Oradea eingewiesen und von dort während der sogenannten „Ungarn-Aktion“ nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz wurden drei seiner fünf Geschwister und seine Eltern ermordet.

Bei der Selektion wurde Yitzhak zu den „arbeitsfähigen“ Männern eingeteilt und mit vielen weiteren Jungen und Männern in eine Baracke gebracht. Er wurde mit 299 weiteren ungarischen Juden nach Wolfsburg in das KZ-Arbeitsdorf deportiert. Dort gab es für jeden Häftling einen eigenen Schlafplatz, Holzschuhe und Waschmöglichkeiten mit Warmwasser.

Während eines Bombenangriffs auf das VW-Werk wurde Yitzhak von einem Wachmann mit in einen Luftschutzbunker geholt, obwohl an diesem stand „Nur für Deutsche“. Dieses Ereignis ist Yitzhak besonders gut in Erinnerung geblieben, da ihn die Handlung des Wachmanns sehr überrascht hat. Nach der Bombardierung war die Produktion der V1 in Wolfsburg nicht mehr möglich.

Am 27. September 1944 kam Yitzhaks Transport schließlich im Arbeitslager Dora, ab Oktober KZ-Mittelbau an. Dort musste er zusammen mit seinen ungarischen Mithäftlingen unter der Anleitung von deutschen Zivilarbeitern KZ-Zwangsarbeit in der unterirdischen Rüstungsproduktion leisten. Yitzhak wurde auf einen Todesmarsch in das Konzentrationslager Bergen-Belsen geschickt, in dem er am 15. April 1945 durch britische Soldaten befreit wurde.

Im KZ Bergen-Belsen herrschten zu diesem Zeitpunkt katastrophale Bedingungen. Yitzhak traf durch einen großen Zufall in diesen Umständen seine Schwester Golda wieder. Diese war durch die KZ-Haft sehr krank und wurde über die Aktion Bernadot nach Schweden in ein Sanatorium gebracht. Sie durfte einen Angehörigen mitnehmen, das war Yitzhak. Die beiden lebten drei Jahre in Schweden bis es Yitzhaks Schwester besser ging und die beiden nach Israel zogen. Dort musste Yitzhak im Militär dienen. Während Yitzhak auf einem Militärfahrzeug durch die Straßen fuhr entdeckte er seinen Bruder David auf einem anderen Militärfahrzeug wieder. Bis dato wusste Yitzhak nicht, dass dieser noch lebt.

1950 heiratete Yitzhak seine Frau Ahuva, die er im Sanatorium in Schweden kennenglernt hatte. Sie bekamen zwei Kinder. 1955 gründete Yitzhak seine eigene Firma „Hayotzer“, von der mittlerweile sein Sohn, Arik, der Chef ist. Yitzhak arbeitet dort halbtags im handwerklichen Bereich.

Bei der Betreuung von Yitzhak und Arik ist sehr deutlich geworden, wie sehr die KZ-Zeit Yitzhak nachhaltig geprägt hat. Er arbeitet auch mit seinen 95 Jahren noch, da ansonsten die Erinnerungen an seine Haftzeit zurückkommen und auch fast 80 Jahre später hat er immer noch Alpträume, die ihn an seine Zeit im KZ erinnern. Über die Zeit im KZ hat Yitzhak die Namen seiner drei jüngeren Brüder vergessen, die er bis heute nicht mehr weiß. Auch seinen Geburtstag hatte er vergessen. Deshalb feierte er diesen 77 Jahre lang immer im Februar. Erst, als seine Enkelin im Jahr 2022 die rumänische Staatsbürgerschaft beantragte und dabei ein altes Dokument auftauchte konnte Yitzhaks Geburtstag auf den 10. Januar 1928 datiert werden.

Durch seine Zeit im Konzentrationslager glaubt Yitzhak nicht mehr an Gott, während seine Frau, die ebenfalls die Konzentrationslager überlebt hat, sehr gläubig ist.

Lange Zeit hätte Yitzhak nicht nach Deutschland kommen können, doch mittlerweile ist er froh, sich als Jude frei in Deutschland bewegen zu können.

Yitzhak ist ein sehr humorvoller Mensch, für jede Situation hat er einen Witz parat. Den Rollstuhl, den die Gedenkstätte ihm in Deutschland gestellt hat nannte er immer seinen Cadillac, beim Besuch des Volkswagenwerkes war es dann „mein VW“. Dieser Besuch kam zustande, weil Yitzhak den Wunsch äußerte, den Ort wo er damals arbeiten musste, Arik zu zeigen.

Als wir dort ankamen, musste unsere Reisegruppe sich erst einmal anmelden, bevor wir das Gelände des Werkes betreten zu durften. Yitzhak machte den Witz, er würde schon mal vorgehen, weil er ja schließlich Mitglied bei VW sei.

Es beeindruckt mich sehr, wie Yitzhak es immer wieder geschafft hat, mit seinem Humor seine Vergangenheit zu bewältigen und uns dabei zum Lachen zu bringen.

Im Werk selber wurde uns nicht nur gezeigt, wo die V1 hergestellt wurde, wir bekamen auch eine ausführliche Privattour durch die ganze Produktion. Yitzhak und Arik waren davon sehr beeindruckt und nahmen dies zum Anlass, immer wieder von ihrer eigenen Firma zu erzählen, in der einige Produktionsabläufe ganz ähnlich aussehen.  Anschließend schauten wir uns auch den ehemaligen Schlafraum von Yitzhak und seinen Mithäftlingen an. Außerdem besichtigten wir den Luftschutzbunker, von dem Yitzhak bereits im Vorhinein erzählt hatte. Diese Räumlichkeiten werden heute als Ausstellungsräume genutzt, um die Geschichte der vielen Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge die durch VW zur Arbeit gezwungen wurden, darzustellen.

Ich habe Yitzhak während der gesamten Betreuung immer wieder gefragt ob alles gut sei, auch wenn ich seine Antwort irgendwann schon kannte: „Zu gut!“. Denn Yitzhak braucht nach eigener Aussage nur genug Brot um glücklich zu sein. Auch das ist eine Einstellung, die er aus seiner KZ-Zeit mitgenommen hat.

Ich habe Yitzhak als einen sehr lieben und umsichtigen Menschen mit einem riesengroßen Herzen kennenglernt. Seine positive Art hat mich nachhaltig beeindruckt – die sechs Tage in denen ich ihn kennenlernen durfte haben mich sehr geprägt.

Auf dem Rückweg zum Flughafen machte Yitzhak den glorreichen Vorschlag mich in seinen Koffer zu stecken, damit ich kostenlos mit nach Israel kommen kann. Ich hoffe, dass ich ihn trotz des Krieges bald in Israel besuchen kann.