Erinnerung an meine Begegnung mit Alex Hacker

Ich saß gut vorbereitet am Flughafen in Frankfurt, hatte ein Schild mit dem Namen „Alex Hacker“ dabei und wartete auf die Ankunft der Maschine aus Toronto, Kanada. Laut Anzeige war sie gerade gelandet und ich dachte, dass ich jetzt vermutlich noch eine halbe Stunde Zeit hätte, bis der Überlebende, welchen ich betreuen sollte, samt seinem Sohn und seiner Enkelin in der Ankunftshalle erscheinen würden. Stattdessen liefen sie fast an mir vorbei, da sie nur mit Handgepäck unterwegs und daher schneller als erwartet waren. Mein erster Eindruck von Alex war der eines wachen und fitten Mannes, welcher mit seiner schnellen Auffassungsgabe zu immer treffenden, zumeist witzigen, häufig aber auch tief schwarzhumorigen Kommentaren fähig war. Dies begann schon bei der Begrüßung, nach der ich den Spitznamen „Nanny Cathrin“ für den Rest der Tage bekommen hatte. Diese Art des Humors begleitete mich durch den gesamten Jahrestag und bot mir die Möglichkeit einen kleinen Einblick in seine Sicht auf die Dinge zu bekommen. Ich hatte mich vorher häufig gefragt, mit welcher Motivation Überlebende zu Gedenkfeiern kommen und lernte bei Alex schnell, dass es für ihn jedes Mal die Erinnerung daran war, dass er gewonnen hat.

Er, der im Mai 1926 von den Nazis als ungarischer Jude ohne wirklich gläubig zu sein verfolgt und deportiert worden war. Aus seiner Heimat ging es für ihn zunächst ins KZ Flossenbürg und von dort aus in das KZ Mittelbau. Als junger Mann, der technisch zeichnen konnte, landete er, wie er selbst es beschrieb, mit viel Glück als privilegierter Häftling in der Produktion. Er überlebte den Todesmarsch nach Bergen-Belsen und wurde dort von den Briten befreit, wie er sagen würde: Er hatte gewonnen. Damit war aber kein Hochgefühl verbunden, sondern Trauer und Ernüchterung, als er zu Hause kaum überlebenden Verwandten wiederfand und sich nach kurzen Aufenthalten in Ungarn und dem DP-Camp Bergen-Belsen und der benachbarten Stadt Celle auf den Weg nach Israel machte. Aber auch Israel wurde für Alex nicht zur Heimat, da er in Frieden und Sicherheit leben wollte, wie er mir erklärte. So fand er seinen Weg nach Kanada, wo er eine eigene Familie gründete und so seinen Sieg feierte.

In den Tagen rund um den Jahrestag begleitete ich einen Mann und seine Familie, welche immer freundlich, meist gut gelaunt und geduldig an allen Terminen und Treffpunkten teilnahmen, die so auf dem Programm standen. Das, was mir am stärksten in Erinnerung geblieben ist, sind die kleinen Kommentare, als Witz getarnte Bemerkungen, welche Alex für sich als Umgang mit den Erinnerung gewählt hat. Ein Beispiel sei hier erzählt: Wir saßen zusammen mit einem anderen Überlebenden aus Frankreich am Mittagstisch und waren daher ins Französische gewechselt. Für die Franzosen und Alex kein Problem, für mich halbwegs möglich, aber Alex´s Enkelin verstand kein Wort. So fasste Alex zumeist das Gesagte kurz für sie zusammen. Die beiden älteren Herren tauschten vor allem ihre Erinnerung an die Lagerzeit aus und sprachen besonders über den Todesmarsch nach Bergen-Belsen, welchen Alex in einem Zugwaggon, der andere Überlebende jedoch zu Fuß zurücklegen musste. Alex kurze Zusammenfassung für die Enkelin lautet am Schluss: „I was lucky and travelled first class with a train to Belsen, this poor guy is the real hero, because he marched the whole way.“

Am Ende der Gedenketage reiste die Familie Hacker weiter nach Basel, um sich dort mit alten Freunden zu treffen. Der ICE hatte zehn Minuten Verspätung und so standen wir noch gemeinsam am Bahnhof. Alex fragte mich verwundert, wo den der Zug bliebe. Ich antwortete, dass er natürlich nicht pünktlich sei, es sei halt die Deutsche Bahn. Alex glaubte mir nicht wirklich, denn es sei ja schließlich die Deutsche Bahn und wir Deutschen seien ja immer so pünktlich. Er machte darüber noch einen Witz, an dessen Wortlaut ich mich nicht mehr erinnere und stieg dann in den Zug. Wir kommunizierten im Anschluss an den Jahrestag noch lange per Mail und schickten uns Pakete. Vermutlich würde Alex auch ein witziger Kommentar dazu einfallen, dass er mir heute die Pakete nach Celle schicken müsste, wo er nach seinem Sieg ein paar Wochen als Postbote gearbeitet hat.

Katharina Friedek, Mitglied von Jugend für Dora